
Inklusion im Breitensport: Wo stehen wir in Deutschland?
Inhaltsverzeichnis
- Wie inklusiv ist der deutsche Breitensport?
- Deutschland im internationalen Vergleich
- Was bremst inklusive Sportangebote?
- Erfolgsfaktoren für das Gelingen von Inklusion im Sport
- Was kann den inklusiven Sport voranbringen?
- Wie schätzen Sie die Perspektive ein?
Auf einer Skala von 1 bis 10, wie weit sind wir mit der Inklusion im Sport in Deutschland insgesamt?
Bei dieser spannenden Frage muss ich differenzieren. Für das Thema „Inklusion im Sport“ gebe ich uns im Großen und Ganzen sechs von zehn Punkten, denn wir sind schon weit gekommen. Die Haltung zum gemeinsamen Sport von Menschen mit und ohne Behinderung hat sich deutlich verändert, auch die Wahrnehmung und der Bekanntheitsgrad der Thematik. Wir verfügen zudem über deutlich mehr Räume, in denen wir uns begegnen können.
Wenn ich mir allerdings anschaue, wie viele Menschen mit Behinderung tatsächlich am Breitensport teilnehmen, muss ich die sechs Punkte leider auf vier oder sogar zwei korrigieren. Der Bundesteilhabebericht des letzten Jahres zeigt, dass nur 32 Prozent der Menschen mit Behinderung regelmäßig Sport machen, unter den Menschen ohne Behinderung sind es 48 Prozent. Ganze 55 Prozent der Menschen mit Behinderung geben an, gar keinen Sport zu treiben.
Wir wissen, dass Menschen mit Behinderung die Liebe zum Sport mit den Menschen ohne Behinderung teilen. Dass wir trotzdem diese Differenz in den Zahlen sehen, ist eine sehr negative Offenbarung. Unter uns gibt es viele Menschen, denen der Zugang zum Sport verwehrt wird oder die ihn erst gar nicht finden.
Wie steht Deutschland beim inklusiven Sport im internationalen Vergleich da?
Im globalen Vergleich gar nicht so übel, denn viele Länder ermöglichen Menschen mit Behinderung gar keine Teilhabe gemäß Artikel 30 der UN-Behindertenrechtskonvention. Sobald wir Deutschland aber mit Ländern vergleichen, die einen ähnlichen sozioökonomischen Status haben, müssen wir zugeben, dass viele Länder Inklusion besser umsetzen. Die Beneluxstaaten und Skandinavien sind beispielsweise schon deutlich weiter als wir, aber auch die USA, bei denen wir das vielleicht gar nicht erwarten würden.
Wir wissen, dass Menschen mit Behinderung die Liebe zum Sport mit den Menschen ohne Behinderung teilen. Dass wir trotzdem diese Differenz in den Zahlen sehen, ist eine sehr negative Offenbarung.
Was bremst inklusive Sportangebote noch?
Die größte Bremse sind aus meiner Sicht Hemmungen und Berührungsängste. Diese sehen wir auf beiden Seiten, bei Menschen mit und ohne Behinderung. Die Lösung ist hier, mutig das Miteinander zu wagen und Ängste offen anzusprechen. Außerdem ist die Mobilität ein großes Problem, die Frage, wie ich von A nach B komme. Hier braucht es Hilfsmittel und Transportdienste. Zudem braucht es barrierearme Sportanlagen, wir müssen beim Bau von Sportstätten von Anfang an inklusiv denken. Auch fehlt es an Vermittlung zwischen denen, die ein Angebot suchen, und den Vereinen, die eins anbieten können.
Etwas komplexer ist die Lage beim Leistungssport. Dessen selektive Funktion setzt der Inklusion Grenzen, aber das ist immer so im Leistungssport und stellt für mich nicht unbedingt ein Problem dar. Es gibt Bereiche, in denen diese selektive Herangehensweise Sinn ergibt.
Mir gefällt der Ansatz, häufiger zur gleichen Zeit am gleichen Ort den gleichen Leistungssport zu machen, wenn auch mit unterschiedlichen Wertungen, je nach vorhandener oder nicht vorhandener Behinderung.
Und was sind wesentliche Erfolgsfaktoren für das Gelingen von Inklusion im Sport?
Ein großer Erfolgsgarant ist immer das Kennenlernen: Wenn wir Ängste durch Begegnungen minimieren, Möglichkeiten erkennen und Spaß am gemeinsamen Sport haben. Ich würde mir wünschen, dass all die Menschen, die in unserer Politik eine wichtige Rolle spielen, selbst an inklusiven Sportangeboten teilnehmen. Dann würden die Belange von Menschen mit und ohne Behinderung automatisch viel eher mitgedacht. Aus gemeinsamem Sport entsteht Haltung, und Haltung zieht Veränderung nach sich.
Die Neue Norm - Inklusiver Sport
Aus gemeinsamem Sport entsteht Haltung, und Haltung zieht Veränderung nach sich.
Welche konkreten Maßnahmen können den inklusiven Sport in Deutschland weiter voranbringen?
Da kommt die Politik ins Spiel, und Politik folgt bekanntlich gesellschaftlichen Strömungen. Wir brauchen also eine Lobby. Jeder Kreis-, Stadt- oder Landessportbund müsste sich klar für die Wichtigkeit der Belange von Menschen mit Behinderung aussprechen und entsprechend agieren. Auch Schulen profitieren sehr von dem partizipativen Aspekt des inklusiven Sports. Die Ausbildung der Übungsleiter*innen müsste angegangen werden, außerdem die Schaffung von Begegnungsräumen. Wir brauchen weitere Förderungen und Gesetze.
Wie schätzen Sie die Perspektiven für die weitere Entwicklung des inklusiven Sports ein?
Der große Hype ist vorbei. Aktuell ist der politische Rückenwind weg, den wir vor einigen Jahren in diesem Bereich hatten. Es stehen berechtigterweise andere wichtige Themen im Vordergrund wie Migration und Pandemie. Aber die Pandemie erschwert seit zwei Jahren gerade den Menschen mit Behinderung den Alltag. Diese Perspektive müssen wir im Blick behalten, egal, wie viele andere wichtige Themen es außerdem gibt.
Ich denke, einiges wird sich selbstständig weiterentwickeln. Ich blicke nicht mit düsterer Miene in die Zukunft, sondern bleibe offen, optimistisch und stolz auf das, was schon geschafft ist. Wichtig ist es jetzt, die Bemühungen zumindest aufrechtzuerhalten, sie am besten sogar zu verstärken.
Ob Inklusion gelingt oder nicht, ist für mich abhängig davon, ob ein Kind mit Behinderung, das gerne Tischtennis spielen möchte, bei dem Tischtennisverein um die Ecke willkommen geheißen wird.

Thomas Abel promovierte 2002 im Fach Sportmedizin an der Deutschen Sporthochschule in Köln und ist dort seit 2003 am Institut für Bewegungs- und Neurowissenschaft tätig. Die Professur für Paralympischen Sport hat er seit 2014 inne und ist zudem Rektorats- und Senatsbeauftragter für Studierende mit Behinderung.